Das Studieren in Zeiten der Corona-Pandemie

Geschrieben von Nele Hyner

Wie schlagen sich die deutschen Universitäten im Krisenmodus? Die Bilanz einer Studienanfängerin.

Als ich im Wintersemester 2020 anfing, zu studieren, war alles anders, als ich es mit vorgestellt hatte: Soziale Isolation statt aufregender Ersti-Partys, eine kurzfristig abgesagte Kennenlern-Woche statt neuer Freund*innen und Lehrveranstaltungen via Bildschirm, statt voller Hörsäle. Trotz aller Notwendigkeit – ich war enttäuscht.

In den darauffolgenden Wochen sollte ich aber auch überrascht werden. Ich merkte schnell, dass meine Uni viel dafür tat, mir das Studium trotz der Umstände zu ermöglichen. Aber reicht das? Wie gehen deutsche Universitäten und die Politik mit den Herausforderungen der COVID-19 Pandemie um?

Vor Allem Studierende aus Arbeiter*innenhaushalten werden vergessen

Lars Klingbeil, Generalsekretär der SPD, kritisiert in einem Interview mit der ZEIT das Vorgehen der Bildungsministerin Anja Karliczek. Sie lasse „die Studierenden komplett im Regen stehen. Ich höre immer wieder, dass junge Menschen jetzt in der Krise ihr Studium abbrechen, weil ihre Nebenjobs wegfallen und ihnen das Geld fehlt. Ich erwarte von der Bildungsministerin, dass sie sich viel stärker darum kümmert. Die Nothilfe für die Studierenden aus dem Frühjahr ist einfach ausgelaufen, sie war ohnehin nur ein Kompromiss, zu gering und auch hier zu umständlich. Sie muss verlängert, aber auch anders gestaltet werden.“[1]
Er spricht sich für eine Reformierung der Studienfinanzierung durch BAföG aus: schnellere Auszahlungen, unkompliziertere Anträge, direkte Krisenhilfe. Denn viele Studierende haben im Zuge des Lockdowns ihre Nebenjobs, beispielsweise im Gastronomiebereich, verloren. Einer von der Juso-Hochschulgruppe in Auftrag gegebenen Befragungan der FU Berlin macht das deutlich:

  • rund jede*r Dritte der Befragten wegen der Pandemie seinen*ihren Nebenjob verloren.
  • Ihre finanziellen Einbußen beliefen sich dabei von Februar bis Juni auf durchschnittlich 1750€.
  • 29% der Befragten an, mindestens teilweise unter Existenzängsten zu leiden.

Besonders wichtig ist hierbei die große Varianz zwischen Studierenden verschiedener Herkünfte. Während unter jenen aus Arbeiter*innenhaushalten 41% über Existenzangst klagten, waren es unter Akademiker*innenkindern lediglich 19%.[2] Es kann und darf nicht sein, dass Studierende in dieser Pandemie vergessen werden und aufgrund ihrer Herkunft und finanziellen Schwierigkeiten ihr Studium abbrechen müssen. Vor diesem Hintergrund hat etwa die Universität zu Köln über ihre Stiftung 500.000 Euro bereitgestellt, um bedürftige Studierende unbürokratisch mit Einmalzahlungen und einem Ausleihservice für Tablet-Computer zu unterstützen. Außerdem hat die Universität zu Köln auch die European University for Well-being mit ihren sechs europäischen Partnerhochschulen hauptsächlich digital gegründet, um sich u.a. der Erforschung und Verbesserung des Wohlbefindens des Einzelnen, der Gesellschaft und des Planeten zu Widmen.
Ein weiteres Beispiel stellt ein virtueller Design-Thinking Workshop der Ludwig-Maximilian-Universität zum Thema Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Besteuerung dar. Hierbei unterstützte die nextexitfuture GmbH die Lehrbeauftragte Ina Schlie am Lehrstuhl von Frau Prof. Deborah Schanz dabei, die Studierenden überregional, interaktiv und digital zusammenzuarbeiten zu lassen und externe Perspektiven kennenzulernen, beispielsweise von hochkarätigen Speaker*innen, Teilnehmer*innen aus dem Finanzministerium und Vertreter*innen aus der Wirtschaft.

 

Viele Studierende leiden unter der fehlenden sozialen Interaktion
Doch nicht nur finanzielle Sorgen erschweren Studierenden momentan das Leben. Viele klagen über das Fehlen sozialer Interaktion.
„Es ist total blöd sich (…) nicht begegnen zu können. Und neue Leute kennenzulernen ist quasi unmöglich“, erzählt Sophia Richter, eine junge Studienanfängerin aus Hannover.[3]
Auch Dr. Frank-Hagen Hofmann, Psychotherapeut und Leiter der Psychosozialen Beratungsstelle des Studierendenwerks Heidelberg, zeigt sich besorgt:
„Mit grundsätzlich anderen Problemen kommen die Studierenden nicht. Es ist eher so, dass sich bestimmte Symptomatiken verstärken. Das Depressive nimmt zu, weil beispielsweise Veranstaltungen, auf die sie sich gefreut hatten, abgesagt wurden. Die Ängste nehmen zu, weil es generell eine größere Unsicherheit darüber gibt, wie es weitergeht.“
[4]
Er rät Studierenden dazu, telefonisch den sozialen Kontakt aufrecht zu erhalten und über ihre Ängste und Sorgen mit Anderen zu reden. Außerdem ist er der Meinung, dass eine feste Struktur im Alltag essenziell für die psychische Gesundheit sei.
Laut einer Umfrage des Stifterverbandes und von McKinsey im Juli/August unter 11.000 Studierenden und 1800 Lehrenden sank der Anteil derer, die angaben, in ihrem Studium „zufrieden“ zu sein, gegenüber dem Vor-Corona-Semester von 85% auf nur noch 51%.[5] Als Gründe werden hier neben der sozialen Isolation auch Probleme beim „Home-Office“-Studieren beklagt.

Jeder zweiten Hochschule fehlt es an einem Digitalkonzept
Nachdem im Sommer noch über 2000 Lehrende die „Verteidigung der Präsenzlehre“ forderten und vor einer „Zwangsdigitalisierung“ der Universitäten warnten, wurde eine solche Digitalisierung der universitären Lehre schnell unumgänglich. Rückblickend bewerten viele die Umstellung von Präsenz- auf Digitallehre jedoch als sehr positiv.[6] An vielen Universitäten dauerte diese zur Überraschung von Studierenden und Lehrenden etwa zwei bis vier Wochen.
„Die Hochschulen haben im Krisenmodus Enormes geleistet (…) Die Umstellung in eine ortsunabhängige Lehre hat sehr gut funktioniert – nicht nur quantitativ, sondern häufig auch qualitativ“, sagt der Vize-Generalsekretär des Stifterverbandes, Volker Meyer-Guckel[7]. Betrachtet man diese „Super-Digitalisierung“ jedoch genauer, offenbaren sich gewaltige Defizite: nahezu an jeder zweiten Hochschule fehlt es an einem Digitalkonzept, zentral Verantwortliche sind die Ausnahme. Darüber hinaus ist die technische Ausrüstung in vielen Einrichtungen mangelhaft. Doch nicht nur das: Auch vielen Studierenden fehlt es schlicht an der notwendigen Technik. In diesen Tagen reicht schon eine schlechte Internet-Verbindung, um in der Vorlesung nicht mehr mitzukommen. Wenn sich dann einzelne Fachbereiche auch noch aus falsch interpretierten Datenschutz-Bedenken heraus weigern, ihre Vorlesungen aufzuzeichnen und online auch asynchron zur Verfügung zu stellen, wird es schwierig, am Ball zu bleiben.

Die zur Verfügung stehenden Mittel müssen genutzt werden
Doch wo hakt es? Nach einem Bericht des Bundesrechnungshofs haben die Hochschulen mehrere Milliarden Euro aus dem Hochschulpakt bisher nicht ausgegeben.[8] Es fehlt jedoch an wirksamen Digitalkonzepten und Verantwortlichen. Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina fordert in ihrer Anfang August veröffentlichten Stellungnahme „Coronavirus-Pandemie: Für ein krisenresistentes Bildungssystem“ die Entwicklung von Konzepten zur Verzahnung von Präsenz- und Distanzlernen sowie die Stärkung der Wissens- und Informationsbasis.[9] Dies forciert auch die Prorektorin für Lehre und Studium der Universität zu Köln: „Präsenz oder online wird in der Lehre oft als Gegensatz gedacht, dabei ist es keine Entweder-Oder-Frage.“ So hat die Universität zu Köln nicht nur Krisenmanagement betrieben und die kurzfristig bereitgestellten Corona-Sondermittel unverzüglich in den Ausbau vorhandener Infrastruktur, die Einführung ko-kreativer Werkzeuge für die digitale Lehre und die Schulung ihrer Lehrenden investiert, sondern auch einen umfassenden Strategieprozess zur Digitalen Bildung in digitalen kooperativen Formaten und unter Beteiligung aller Akteur*innen initiiert.

Das Beste aus der Situation machen
Insofern kann man diese Pandemie auch als Chance werten: Für die deutschen Universitäten, denen nicht selten ein „Dinosaurier-Dasein“ vorgeworfen wird, erfordert die Situation, sich mit der längst überfälligen Digitalisierung der Lehre zu beschäftigen. Während wir Studierenden hoffen, dass in Bezug auf Finanzierung und psychische Gesundheit der Studierenden von Universitäten und Politik noch mehr getan, steckt in der voranschreitenden Digitalisierung großes Potenzial.Wenn es clever genutzt wird, können in Zukunft beispielsweise alleinerziehende oder berufstätige Studierende davon profitieren.
Und wer weiß – vielleicht werde ich es in einem Jahr sogar ein wenig vermissen, meine 8 Uhr Vorlesung im Schlafanzug besuchen zu können.

Referenzen

[1] https://www.zeit.de/wirtschaft/2020-11/corona-hilfen-studierende-spd-generalsekretaer-lars-klingbeil/seite-2

[2] https://www.zeit.de/campus/2020-07/nebenjobs-studenten-hochschueler-coronavirus-existenzaengste-jobverlust-juso-hochschulgruppe

[3] „Wo sind die Studenten hin?“, Bärbel Hilbig, erschienen in: Hannoversche Allgemeine Zeitung, Mittwoch, 28.10.2020

[4] https://www.rnz.de/nachrichten/heidelberg_artikel,-das-depressive-nimmt-zu-so-psychisch-belastend-ist-der-oeffentliche-stillstand-fuer-studenten-_arid,509982.html

[5] https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/hochschulen-die-digitale-lehre-bleibt-eine-dauerbaustelle-auch-an-den-unis-/26216380.html?ticket=ST-12783026-17cZHu7kYuR9dRsaI1Fr-ap1

[6] https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/hochschulen-die-digitale-lehre-bleibt-eine-dauerbaustelle-auch-an-den-unis-/26216380.html?ticket=ST-12783026-17cZHu7kYuR9dRsaI1Fr-ap1

[7] https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/hochschulen-die-digitale-lehre-bleibt-eine-dauerbaustelle-auch-an-den-unis-/26216380.html?ticket=ST-12783026-17cZHu7kYuR9dRsaI1Fr-ap1

[8] https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/hochschulen-die-digitale-lehre-bleibt-eine-dauerbaustelle-auch-an-den-unis-/26216380.html?ticket=ST-12783026-17cZHu7kYuR9dRsaI1Fr-ap1

[9]https://www.leopoldina.org/uploads/tx_leopublication/2020_08_05_Leopoldina_Stellungnahme_Coronavirus_Bildung.pdf

Nele Hyner
Nele Hyner

Social Media Managerin und Studentin der Psychologie

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